Emil Acklin dokumentierte mit seinen Bildern aus Zürich das Alltagsleben. Die Zeitspanne reicht von 1930 bis 1950. Im Stadtarchiv Zürich sind bis Ende Januar 2019 die Aufnahmen zu sehen.
Vor 90 Jahren machte die Fotografie einen grossen Sprung. Es ging nicht mehr um grosse Kästen, sondern um Kleinbildkameras mit Rollfilmen. Die Fotografie wurde beweglich. Es entstanden ganz andere Möglichkeiten, da sehr viel spontaner fotografiert werden konnte. In den bewegten Zeiten Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts wollten viele Fotografinnen und Fotografen nicht nur schöne Blumen oder die beindruckende Architektur, sondern Lebensrealitäten aus ihrer Umgebung dokumentieren. Es gibt dafür viele internationale Beispiele. So dokumentierte Gerda Taro den spanischen Bürgerkrieg und mit Robert Doisneau können wir in das lebendige Paris vergangener Dekaden eintauchen.
Aber auch die Schweiz hatte spannende Fotografen. Emil Acklin war ein ungewöhnlicher Mensch mit vielen Brüchen in seiner Biografie. Damit spiegelte er die Zerrissenheit des 20. Jahrhunderts wider. Er war Offizier und Revolutionär, Lehrer und Kommunist, Fotograf von Arbeit und Alltag und feinsinniger Beobachter des Gewöhnlichen: Der 1889 geborene Fotograf Emil Acklin hinterliess einen kleinen, aber ausserordentlich interessanten fotografischen Nachlass mit Schwerpunkt Zürcher Arbeiterfotografie von 1930 bis 1950. Das Stadtarchiv macht Acklins Nachlass nun mit einer Ausstellung öffentlich.
Der Flaneur mit der Leica
Für Emil Acklin (1889–1976) war die Fotografie die Fortsetzung des Klassenkampfs mit anderen Mitteln. Das hört sich heute sehr schräg an. Im Grund genommen ging es ihm um die Abbildung der Lebenswirklichkeiten von Arbeiterinnen und Arbeitern. Die oftmals harte Lebensrealität war sein Lieblingssujet. Seine Arbeit realisierte er aber nicht in einem starren ideologischen Rahmen. Seine Bilder sind keine hölzernen Botschaften, wie wir dies von realsozialistischen Propagandabildern her kennen, sondern spiegeln den Versuch, den harten Alltag zu meistern, wider. Es geht darum, Veränderungen einzufordern und dem Leben auch eine Portion Glück und Selbstverwirklichung abzuringen. Er stellte seine Motive nicht in Szene, um oberflächliche Wirkungen zu entfalten, sondern flanierte mit seiner Leica durch die Strassen und hielt den Alltag fest. Das beinhaltete auch Momente der Leichtigkeit. Er war aber ein durch und durch politischer Mensch. So fotografierte er zwischen 1932 und 1948 fast jeden 1.-Mai-Umzug in Zürich und einige Demonstrationen – zum Beispiel wenn es um die Gleichberechtigung der Frau ging. Der Mitbegründer des 1929 gegründeten Zürcher Arbeiterfotobunds wollte ganz explizit in seine Bilder «etwas von seiner Weltanschauung hineinlegen» – seine Fotografien illustrieren aber noch weit mehr: Heute sind sie wertvolle Zeugen der Arbeits- und Lebenswelt des einfachen Zürcher Volkes und ein stimmungsvolles Porträt Zürichs zwischen 1930 und 1950.
Harte Zeiten und klare Haltungen
Dass sich Acklin für die Welten des Zürcher Arbeiterquartiers Aussersihl links der Limmat interessierte und auch auf sie beschränkte, ist nicht verwunderlich. Der ursprünglich aus Ennetbaden stammende Lehrer und Oberleutnant wurde von den stürmischen Zeiten, die er als junger Mensch miterlebte, stark geprägt. Industrialisierung, Bildung der Arbeiterschicht, wirtschaftliche Not und Lebensmittelknappheit während der Kriegsjahre bewirkten bei Acklin einen tiefen Sinneswandel: Während seines Aktivdienstes wandte er sich antimilitaristischem und sozialistischem Gedankengut zu. 1917 liess er sich vom Fahneneid entbinden und wurde vom Dienst an der Grenze abgezogen. Im selben Jahr schloss er sich in Zürich der revolutionären Gruppe «Forderung» um Jakob Herzog, dem ehemaligen Vorstandsmitglied der Sozialistischen Jugendorganisation SJO und mitreissendem Redner und Agitator, an.
Die Gruppe «Forderung» wollte nicht nur Proteste gegen Krieg und Militarismus verfassen, sondern diesen auch Taten folgen lassen. Dies geschah schliesslich mit den November-Unruhen 1917, an denen sich Acklin aktiv beteiligte und die mit einem Militäreinsatz und vier Todesopfern endeten. Emil Acklin wurde verhaftet und wegen «Aufwiegelung zur Aufruhr beziehungsweise zur Meuterei» zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten verurteilt. Als er das Gefängnis im Juni 1918 verliess, musste er sich sein Leben ganz neu aufbauen; militärisch degradiert und vom Lehrerberuf aufgrund seiner Verurteilung ausgeschlossen, arbeitete er fortan als Privatlehrer und gab Akkordeonunterricht. Am Generalstreik 1918 nahm er nicht aktiv teil, arbeitete aber im Hintergrund mit sozialistischen Jugendgruppen.
1929 gründet Emil Acklin zusammen mit dem Schlosser Wilhelm Willi, einem talentierten fotografischen Autodidakten, den Zürcher Arbeiterfotobund mit dem Ziel, die Fotografie als Propagandamittel im Klassenkampf wirkungsvoll einzusetzen. In den zehn Jahren nach der Gründung des Arbeiterfotobundes entstanden denn auch die meisten Fotografien im Nachlass von Acklin.
Im fotografischen Schaffen von Acklin geht es aber nicht um die Bestätigung einer Ideologie. Ihn interessierte das Beispielhafte, das Zeitlose. Er fing im Format der Fotografie die Realität so ein, wie er sie verstand und wie er sie verstanden haben wollte. Seine Bilder zeigen Leben und Arbeiten des einfachen Zürcher Volks, und es gelingt ihm, diese Menschen mit Empathie in ihrer ganzen Würde und Integrität darzustellen. Seine Fotografien fallen somit nahtlos in die Kategorie der damals neuen, engagierten Dokumentarfotografie, wie sie Jakob Tuggener, Hans Staub oder Emil Schulthess vertraten. Heute vermissen wir manchmal solche konkreten Ansätze.
Seit 2017 befindet sich das Fotoarchiv von Emil Acklin (1889–1976) im Stadtarchiv Zürich. In der zweiten Ausgabe seiner Zeitschrift arché unter dem Titel «Emil Acklin: Fotografie als Klassenkampf» stellt das Stadtarchiv Emil Acklin, seine Zeit und seine Bilder vor und macht in der gleichnamigen Ausstellung am Neumarkt vom 4. Oktober 2018 bis 18. Januar 2019 seinen fotografischen Nachlass öffentlich.
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