Der Bahnhof Stadelhofen ist mit täglich 83’000 Passagieren und jährlich 150’000 Zugbewegungen verkehrstechnisch einer der wichtigsten Bahnhöfe der Schweiz. Hat der Stadelhofen einen Schnupfen, hat die Agglo Zürich rasch die Grippe. Aber er ist auch Ausgangspunkt an die wunderschöne Zürcher Goldküste. Es geht um das Golden Gate of Zurich – Porträt eines Bahnhofs.

Sonntags, 9:30 Uhr im Restaurant Mishio. Bei Kaffee, Kuchen und Orangensaft lauschen wir gebannt den Worten des Stararchitekten Santiago Calatrava.

Calatrava ist ein Mann von Weltruhm, geboren in Valencia, Studium an der ETH, Geschäftsführer eines Zürcher KMU. An diesem Morgen sagt er, und das scheint ihm wichtig, alle Zuschläge für bislang 136 Bauten im Rahmen von Wettbewerben erhalten zu haben.

Einer dieser Zuschläge ist die 2016 eröffnete «Oculus» World Trade Center PATH-Station, die U-Bahn-Station des One World Trade Center New York. Eine herausragende Konstruktion für täglich mehr als 200’000 BesucherInnen, ausgestattet unter anderem mit Bodenheizung, schliessbarem Dach und Kirche. User schreiben in Foren: umwerfend! Faszinierend schön! Tolles Bauwerk! Shoppingcenter und Bahnhof in einem! Den Zuschlag für den Prestigebau erhielt der Spanier, der auch ein Büro in New York unterhält, wie er glaubt, weil er die Idee hatte, den U-Bahnhof neben dem Turm sichtbar als Zeichen der Hoffnung zu errichten. Calatrava sagt: «New York hat ein gutes U-Bahn-System, aber die Bahnhöfe sind finster. Ich wollte Sonnenlicht und so für die Menschen ein Zeichen der Würde setzen, ohne Luxus.»

Erstlingswerk Bahnhof Stadelhofen
Calatrava, der Architektur an der ETH Zürich studierte, hat Bahnhöfe rund um den Globus erbaut. Sein Erstlingswerk aber, die Mutter aller Calatrava-Bahnhöfe, ist der 1990 fertiggestellte Erweiterungsbau des Bahnhofs Stadelhofen. Eine elegante Konstruktion aus Beton und Stahlträgern.

Das Stadelhofen-Projekt war sicher ein Türöffner für Calatrava, denn die Anforderungen und die sich damals daraus ergebenden Fragestellungen waren komplex, und die damaligen Antworten sind aus heutiger Sicht überzeugend:

Bewegungsströme  meistern
Der Bahnhof ist da, um Menschen physisch zu bewegen und ihre Sicherheit zu gewährleisten. In Bezug auf die Passierfrequenz ist der Stadelhofen mit 83’000 Passagieren pro Tag der achtgrösste Bahnhof der Schweiz, der drittgrösste in Zürich, grösser als die Bahnhöfe von St. Gallen und Genf. Er ist Umsteigepunkt auf die städtische Strassenbahn sowie die Forchbahn, und er ist ein national bedeutender Ausgangspunkt für Reisende und Pendler in alle Himmelsrichtungen. Calatrava sagt, das Stadelhofen-Projekt habe ihn viel gelehrt, was die Beherrschung von Strömen anbelangt, das Hin-und-Her der Züge und vor allem die Sicherheit von Mitarbeitenden und Passagieren. Dabei ist der Bahnhof Stadelhofen, auch im internationalen Vergleich, mit seinen 150’481 Personenverkehrszügen pro Jahr durchaus ein Gradmesser.

Druck nach Wirtschaftlichkeit Rechnung tragen
Der Bahnhof muss hohe wirtschaftliche Anforderungen erfüllen. Calatravas Vorstellung war die eines Bahnhofs frei von Gegenständen. Heute gibt es 40 Geschäfte und Services im Stadelhofen, die mit erweiterten Verkaufsflächen Teile der Durchgangshalle versperren. Apropos Wirtschaftlichkeit: Nicht ohne Stolz sagt Calatrava, und das mag für einen künstlerisch agierenden Architekten erstaunen, dass das veranschlagte Budget dank grosser Effizienz in Planung, Umsetzung und Materialverwendung unterschritten werden konnte.

Integration in die bestehende Umgebung
Bahnhöfe prägen Städte über Jahrzehnte. Das spätklassizistische Bahnhofgebäude etwa wurde 1894 erbaut und es passt noch heue bestens ins Quartier. Daraus erwächst ihren Erbauern grosse gestalterische Verantwortung. Beim Erweiterungsbau Bahnhof Stadelhofen ist die gelungene Integration in die bestehende Umgebung meiner Meinung nach unverkennbar. Unten mit der Öffnung gegen die City mit den pulsierenden Strassen und Plätzen mit Blick auf den See und den direkten Zugängen in die Flanier- und Shoppingmeilen der Stadt. Und nach oben hin die begrünte, parallel über den Gleisen verlaufende, mit Treppen und Brücken versehene Fussgängerpasse als Übergang ins benachbarte, etwas höher gelegene Quartier Hottingen. Was uns heute wie selbstverständlich in die Umgebung integriert erscheint, musste damals wohlüberlegt sein.

Spätere Entwicklungen  einplanen
Die Antwort auf diese Frage bleibt vorerst offen. Sicher ist, Bahnhöfe müssen auf Jahrzehnte hinaus ausbaufähig bleiben. Besonders solche in der Schweiz. Denn ihr Wirtschaftsmotor brummt, die Bevölkerung wächst, das Zentrum Zürich pulsiert. Bis 2035 soll die Kapazität mit zusätzlichem Gleis und Tunnel um 50 Prozent gesteigert werden, denn Stadelhofen ist einer der grössten Engpässe im Schienennetz mit Auswirkungen auf den nationalen Schienenverkehr. Das Projekt ist ungewiss. Die finanziellen Mittel sind noch nicht gesprochen, weil die Bedeutung des achtgrössten Bahnhofs landesweit erst erkannt werden muss. Bahnhöfe sind eben auch Spielbälle nationaler Politik.

Das neue Haus zum Falken
Einiges früher, bestenfalls 2022, soll das Haus zum Falken fertiggestellt sein. Es ist ein Projekt von AXA Winterthur, über das Santiago Calatrava sagt: «Der Neubau hat eine zentrale Funktion als Bindeglied zwischen dem Bahnhof und der Stadt.» Die NZZ schreibt, das Gebäude rege seiner speziellen Form wegen die Fantasie der Gemeinderäte an. Von «Hochseejacht» bis «gestrandeter Wal» reiche die Palette der Bezeichnungen. Egal, die Mehrheit der Parteien steht hinter dem Projekt, und Pendler, die ihren Arbeitsweg bevorzugt mit der Kombination ÖV/Fahrrad bestreiten, werden ihre helle Freude haben. Denn das Haus zum Falken bietet 1’000 neue unterirdische Veloabstellplätze. Die Velos können dort sicher und wettergeschützt untergebracht werden. Zudem gibt es von der Velogarage einen direkten Zugang zur Bahnhofpassage und den Gleisen.

Namensursprung Golden Gate
Der Bahnhof Stadelhofen ist seit 1894 Ausgangspunkt in die wunderschöne Goldküstenregion, die sich entlang des Zürichsees von Zollikon bis nach Uerikon erstreckt und die regionaler Schwerpunkt dieser Ausgabe des «Geschäftsführer Zürich» ist. Die Bahnlinie wird entsprechend auch als der «Goldküstenexpress» bezeichnet.

www.sbb.ch

 

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