Die Frage ist einfach gestellt und schwierig zu beantworten: Was zeichnet eine professionelle Architektur- und Portraitfotografie aus? Der Fotograf Dirk Wetzel hat Antworten.
Wer heute das Stichwort Fotografie hört, denkt an unseren Alltag. Wir sehen ein Motiv, zücken das Handy und legen los. Haben modernste Handys nicht auch Objektive, die eine hohe technische Qualität ermöglichen? Und kann ich die Bilder, wenn sie mir nicht gefallen, nicht ganz schnell wieder löschen? So sammeln sich auf unseren Festplatten ganze Bilderberge. Das ist dann Big Data, aber nicht Fotografie.
Ältere Semester erinnern sich noch an die Zeiten der analogen Fotografie. Wir hatten 36 Bilder pro Film zur Verfügung und mussten daher vor jedem Schnappschuss einige Grundüberlegungen anstellen. Wir wussten, dass es im Normalfall schlecht ist, gegen die Sonne zu fotografieren, und konnten aus Erfahrung intuitiv mit Blende und Zeit umgehen. Auch mit dem unterschiedlichen Einsatz von Kunst- und Tageslicht beschäftigten wir uns. Solche technischen Grundlagen sind für Dirk Wetzel als Fotograf eine Selbstverständlichkeit. Mindestens genauso wichtig sind die Rahmenbedingungen und die professionelle Beschäftigung mit dem Motiv.
Die Persönlichkeit zählt
Die hohe Kunst der Portraitfotografie verdeutlicht sich im Unterschied zur Landschaftsfotografie. Dort geht es um den Bildausschnitt, das passende Wetter und die damit verbundene Atmosphäre. Bei einem Portrait geht es um eine Persönlichkeit. Das beginnt schon mit ganz einfachen Fragen: Haben wir es mit einer introvertierten oder extrovertierten Persönlichkeit zu tun?
Bei Businessmenschen gilt es, die positiven Kernkompetenzen optisch voll zur Geltung kommen zu lassen. Nur auch das darf nicht übertrieben sein. Jeder Mensch ist komplex aufgestellt. Wie geht Dirk Wetzel hier vor? «Zunächst muss ich mich mit der Persönlichkeit beschäftigen, aber auch mit dem Umfeld. So macht es einen Unterschied, ob man mit einer Sportlerin oder einem Geschäftsmann ein Fotoshooting realisiert.» Dann kommt es immer auch auf die Umgebung an, in deren Rahmen die Fotografie entsteht. Die Bandbreite verdeutlicht sich bei den Portraitbildern, die wir hier vorstellen – einer Harfenistin und eines Archivars. Bei der Musikerin gilt es, die Töne der Harfe, die sich auch in ihrer Persönlichkeit ausdrücken, optisch zu übersetzen und die Umgebung mit einzubeziehen. Das Portraitbild des Archivars lebt vom Spannungsbogen zwischen der sehr modernen Umgebung einer zeitgenössischen Businesswelt und dem Begriff des Archivs, welcher sehr alte Vorstellungswelten transportiert. «So entsteht bei jedem neuen Portraitbild etwas Neues und Einzigartiges. Eine reine Kopie nützt niemandem etwas», betont Wetzel. Solch ein Vorgehen ist aufwendig, aber es lohnt sich auch. Dabei ist der Aufwand einer formalen Fotografie nicht unbedingt geringer. Es geht ja nicht um das übliche Passbild, sondern beispielsweise um ein Bewerbungsbild mit Ausstrahlungskraft.
Der Charakter der Persönlichkeit kommuniziert mit dem Licht. Das nützt auch dem Wiedererkennungseffekt. Wenn das Licht gezielt eingesetzt wird, gewinnt der Mensch an Ausstrahlung und Charisma. Für Wetzel ist ein Portrait eine Momentaufnahme. Und doch kann man in einem guten Portrait die Vergangenheit und den Blick in die Zukunft lesen. «Die vielen Facetten eines Menschen, die Zeichnung seiner Lebenswege, sein Geist, seine Leidenschaft und damit seine Ausstrahlung werden sichtbar.» Das kann man unter dem Begriff Aura zusammenfassen. Ein gutes Portrait zeigt diese Aura – etwas, das das Bild sprechen lässt.
Architektur in Szene gesetzt
Wer ein Gebäude nur von einem Blickwinkel her betrachtet, sieht nur einen kleinen Ausschnitt und erkennt nicht seine Formsprache. Es gilt, ein Gebäude von innen und aussen zu entdecken. Jeder einzelne Raum kann eine eigene Architektursprache entwickeln. Nehmen wir die hier vorgestellten Bilder: Geschwungene Treppen durchbrechen den Raum. Das ist nüchtern und funktional und strahlt doch Eleganz aus. Das Bauhaus könnte hier historisches Vorbild gewesen sein. Die Linien sind gerade und die Formen sehr klar – und trotzdem will Wetzel sein Bild auch spontan komponieren.
«Es geht darum, eine singuläre Geschichte zu erzählen. Ich betrete einen Raum und sauge das Leben in ihm auf. Ich lasse den Raum auf mich wirken und fälle dann Entscheidungen.» Eine zentrale Rolle spielen hier die Vorgaben der Auftragsgeber. Geht es um eine Verkaufsdokumentation für einen Immobilienmakler oder steht eine Wohnreportage für ein Interior- oder Architekturmagazin im Vordergrund? Auch eine Dokumentation für eine Archivlösung kann spannend fotografisch inszeniert werden. Dies war beispielsweise beim neuen Sitz der Selmoni AG, welcher durch Burkhard + Partner realisiert wurde, der Fall. Ein Arbeitsprozess ist auch bei einem Profi ein Suchprozess. «Es funktioniert auch nicht alles sofort», erläutert Wetzel. Es gilt, den richtigen Blickwinkel mit der dazu passenden Lichtlösung zu finden. Zudem sieht in einem Sucher das Motiv anders aus als auf einem Bildschirm. Es braucht mehrere Arbeitsschritte.
Hier kann das am Anfang erwähnte Handy zur Ideenfindung durchaus nützlich sein, bevor die Spiegelreflexkamera zum Zug kommt. Das heisst, dass das Gebäude mehrfach und unterschiedlich erkundet werden will. «Ausfotografieren» nennt Wetzel diesen Arbeitsprozess.
Last but not least stellt sich die Frage, in welchen Präsentationswelten Wetzel unterwegs ist. «Zu meinem Job gehört es dazu, auf mindestens drei Internet-Plattformen präsent zu sein», ist er überzeugt. Besonders Instagram biete ihm viel Inspiration und Vernetzung. Gleichzeitig ist es schwieriger geworden, ein eigenständiges Format zu gewinnen. «Die Betrachterinnen und Betrachter sind durch die Bilderflut zunehmend abgestumpft und weniger beeindruckt von guten Bildern.» Aus diesem Grund besucht Wetzel auch gerne Ausstellungen und stellt selbst aus. «Da ist eine gewisse Magie vorhanden, wenn du ein Bild in gross und echt siehst.»