Die Nachfrage nach Interim Dienstleistungen ist in den letzten Jahren gestiegen. Besonders die Überbrückung von Führungsvakanzen und Unterstützung im Aufbau neuer Geschäftsfelder sind gefragt, aber auch die Einbindung von Fachleuten bei Veränderungsprozessen oder im klassischen Projektmanagement. Wir haben Dr. Matthias Schweizer, einem Experten auf diesem Gebiet, zu seinem Berufsalltag als Interim Manager im Sozial- und Gesundheitswesen befragt.
«zürichRUNDSCHAU»: Herr Schweizer, welches sind die zentralen Sorgen im Sozial- und Gesundheitswesen?
Dr. Matthias Schweizer: Das Sozial- und Gesundheitswesen steht seit Jahren vor zunehmenden Herausforderungen. Der Schwerpunkt liegt auf der Finanzierung des steigenden Bedarfs an Versorgungs-, Betreuung- und Beratungsleistungen. Der Spagat zwischen Markt und kantonalen Bestimmungen, insbesondere hinsichtlich der zunehmenden gesetzlichen Qualitätsanforderungen, erschwert zusehends die Stabilität und Nachhaltigkeit der zu erbringenden Dienstleitungen. Infolgedessen verstärkt sich der Druck zur Effizienz-Steigerung der Betriebsabläufe, unter anderem durch intensivierte Digitalisierung, zu einer stärkeren Kundenorientierung durch Personalentwicklung sowie zur unabdingbaren Abwägung von Nutzenpotential und tatsächlichem Erfolg.
Warum werden Sie als Interim Manager engagiert?
Diskretion, Ehrlichkeit und Erfahrung ermöglichen langjährige vertrauensvolle Partnerschaften. Je grösser das Wissen über die Organisation und deren Entwicklung, desto effizienter ist der Einsatz. Der gemeinsame Nenner für die Arbeit mit Profit- und Nonprofit-Organisationen ist es, mit begrenztem Mitteleinsatz nach einer maximalen Wirkung zu streben. Vor diesem Hintergrund können Ausfälle von Schlüsselpersonen bzw. kurzfristiger Bedarf an spezialisiertem Wissen in Bezug auf die Qualität, Stabilität und Nachhaltigkeit ein Risiko darstellen. Eine Überbrückungslösung bei Betriebs-, Organisations- oder Führungs-Engpässen vermindert Risiken im Betrieb und Kostenbereich und dient der Entwicklung nachhaltiger Lösungen.
Welche Risiken?
Risiken entstehen durch ein unerwartetes Führungsvakuum, das Unsicherheit in der Belegschaft, Grabenkämpfe oder Kompetenzgerangel auslöst. Ferner, wenn die Last der Überbrückung ungerecht verteilt wird und die Mitarbeitenden durch Zusatzaufgaben überfordert werden. Dann häufen sich Pendenzen, der gesetzliche Auftrag wird mangelhaft oder gar nicht mehr umgesetzt, die Verbindlichkeiten werden nicht mehr eingehalten und externen (oder internen) Partnern fehlt eine entscheidungs- beziehungsweise weisungsbefugte Ansprechperson. Ein weiterer Risikofaktor ist die Initialisierung neuer Projekte, der Aufbau einer neuen Geschäftseinheit oder eine Neuausrichtung der Organisation. Unter Zeitdruck fehlen die nötigen Management-Kompetenzen, die personellen Ressourcen, die erforderliche Infrastruktur oder das erforderliche Fachwissen. Uneinigkeit in der Ausrichtung, auch unverständliche Entscheide, führen zu schwindendem Rückhalt in der Belegschaft.
Und was sind die Konsequenzen?
Dies kann zu Fehlentwicklungen wie Kostenüberschreitung und Nichteinhaltung der gesetzlichen Standards führen. Demzufolge steigt der Druck auf das Aufsichtsgremium. Entscheidungen müssen nachträglich korrigiert werden und die Gefahr eines Reputationsschadens wächst. Eine nachhaltige Sicherung der angestrebten Veränderung ist nicht möglich. Unter diesen Aspekten wirken sich personelle, fachliche und technische Engpässe unmittelbar und eventuell drastisch auf den Betrieb bzw. die Finanzen aus.
Und wie verhindern Sie das?
Als erstes muss die Hierarchie-Lücke geschlossen werden, damit die interne und externe Kommunikation, gem. den jeweiligen Richtlinien, wieder fliesst. Prioritär werden je nach Ausgangslage das Tagesgeschäft beziehungsweise der gesetzliche Auftrag sichergestellt sowie der Abbau von Pendenzen organisiert. Wenn nötig werden interne Regeln und Normen durchgesetzt, das Kader beraten, unterstützt und gestärkt. Nebst Personalmanagement und Controlling-Aufgaben gehören auch die Kontaktpflege mit auftraggebenden bzw. zuweisenden Stellen sowie die Funktion als Sparring-Partner für das Aufsichtsgremium dazu. Je nach Schwerpunkt des Auftrags können Entscheidungsgrundlagen erarbeitet oder eine Nachfolgeperson rekrutiert sowie eine geordnete Übergabe organisiert werden. Um die Nachhaltigkeit der Qualität sicherzustellen sind wiederkehrende Audits möglich.
Welche persönlichen Erfahrungen kommen Ihnen da zugute?
Man muss die Zusammenarbeit mit Menschen unter schwierigen Bedingungen mögen. Diesbezüglich kommt mir meine praktischen Führungs- und Krisen-Erfahrungen auf verschiedenen Leitungsstufen zugute; Keine vorschnelle Beurteilung der Situation, schnell das Grosse und Ganze erfassen, sich von Anbiedern, Skeptikern und Argwöhnischen nicht beindrucken lassen. Dank der Digitalisierung kommt alles, was sich nicht durch Leistung rechtfertigt, unter Druck.
Womit zeichnet sich ein Interim Manager aus?
Der Einsatz eines Interim Managers bietet Vorteile und Chance zugleich, da er sich neutral, vorbehaltslos und unvoreingenommen auf den Auftrag konzentrieren kann. Das Wissen und die Erfahrung «von aussen» sowie neue Impulse und Ideen ermöglichen einen breiteren Blickwinkel. Interim Management ist eine Animationsaufgabe, die man nicht einfach abarbeiten kann. Ein wichtiger Bestandteil ist, einen gewissen Schwung und eine signifikante Dynamik in der Organisation zu erzeugen. Weniger entscheidend ist, an welcher Stelle man zu managen beginnt, als dass eine Dynamik in der Organisation ausgelöst wird. Hilfreich ist ein breites praxisorientiertes und theoretisches Wissen aus möglichst vielen Branchen. Die Erfahrung in vergleichbaren Funktionen hilft. Ein Interim Manager muss animieren, inspirieren – zeigen, dass er das Gesamte überblickt und sich trotzdem für das Wohl des Einzelnen interessiert. Prägende Fähigkeiten sind Veränderungs- (Change) und Entwicklungskompetenz (Talent), die Motivation für Innovation und nachhaltige Leistung.