Der CEO von Novartis lehrt seinen Mitarbeiter die Bedeutung von «Unbossed», also Unternehmerisch denken, Unternehmerisch handeln und zeitnah zu Entscheiden. Solche Tendenzen sind spürbar – auch im Sozial- und Gesundheitswesen. Das sagt der Promovierte Sozialökonom Matthias Schweizer vom Beratungsbüro Moncrier: «Die Erkenntnis, dass der Einzelne mit seinem Spezialwissen für den Team-Erfolg wesentlich ist, setzt sich zunehmend durch».

Im Gegensatz zur autoritären Leitung führen gemäss einer Studie der Universität St. Gallen falsch interpretierte Laissez-faire-Modelle bei Mitarbeitenden zu Unzufriedenheit,  geringerem Engagement bis hin zu Erschöpfungszuständen. Ferner sind nicht alle Führungskräfte bereit, auf Mikromanagement zu verzichten. In fast jeder zweiten der von der HSG befragten Organisation werden Mitarbeitende nicht befähigt, Verantwortung zu übernehmen.

Früher war das Militär die Schule der Nation, deren Nutzen in der praktischen  Führungserfahrung und einer krisenfesten Arbeitstechnik für Aktionsplanung und Lageverfolgung lag. Von der Förderung der Stärken Einzelner hing oft der Erfolg ab. Dies hatte mit dem Prinzip militärischer Führung zu tun, der Auftragstaktik. Diese bezweckte gemäss den Reglementen der Schweizer Armee, Unterstellten im Rahmen der Absicht des Vorgesetzten ein Maximum an Handlungsfreiheit zur Auftragserfüllung  zu belassen. Der Vorgesetzte musste seine Unterstellten deshalb kennen und entsprechend ausbilden.

«Geschäftsführer»: Dr. Matthias Schweizer, was bewegt die Geschäftsleitungen und Aufsichtsorgane derzeit?
Dr. Matthias Schweizer: Aus meiner Erfahrung als Interimsmanager und Berater sozialer Organisationen sind es auf geschäftsleitender Ebene die eigene Arbeitsplatzsicherheit sowie die Digitalisierung im Betrieb, die Unsicherheiten auslöst. Auf der Ebene der Aufsichtsgremien herrscht die Angst vor falschen (strategischen) Entscheiden, insbesondere Unsicherheiten bei der Bewerberauswahl für Führungsfunktionen, die im schlechtesten Fall erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen können.

Bei ihren Interimseinsätzen sind Sie oft Teil des Rekrutierungsprozesses. Was machen Sie dabei für Erfahrungen?
Im Auswahlverfahren von Führungskräften klaffen Anspruch und Realität oft auseinander. Das liegt an bereits gemachten Erfahrungen. Beispielsweise haben Fehlentscheide unter Zeitdruck oder mangels Alternativen ein- oder mehrmals zu unangenehmen Konsequenzen geführt. Auch Kompromiss- Lösungen befriedigen selten. Zu diskutieren gibt, nebst dem
Bildungs- und Erfahrungsanspruch, auch das Alter oder das Geschlecht der Bewerbenden. Ein übertriebener Fokus auf diese beiden Faktoren lässt wenig Raum für positive Überraschungen. Meine Aufgabe ist es dann, diesen Prozess im Sinne einer nachhaltigen Lösung zu begleiten. Die geordnete Vorbereitung und Übergabe an die nachfolgende Leitungsperson, gehören ebenfalls zu meinen Aufgaben.

Stehen ältere Arbeitnehmende aussen vor?
Vor allem älteren Führungspersonen bereitet die Digitalisierung sorgen. Algorithmen, Robotik und selbstlernende Systeme dringen in alle Bereiche vor, nehmen Entscheidungen ab und können menschliche Arbeitskraft ersetzen. Digitalisierung muss jedoch nicht zwingend mit Arbeitsplatzabbau verbunden sein, denn mit jedem Strukturwandel entstehen auch neue Einsatzfelder. Die «Innovationspotenziale» aller Mitarbeitenden zu erkennen und zu nutzen, lohnt sich in der Regel doppelt: Zum einen tragen gute Ideen dazu bei, die Kosten zu senken und die Qualität von Dienstleistungen zu steigern. Zum anderen führt eine gut entwickelte Innovationskultur meist zu einer höheren Motivation und Zufriedenheit unter den Mitarbeitenden.

Was zeichnet ältere Mitarbeitende aus?
Man attestiert Menschen ab dem mittleren Alter neue Stärken wie die Fähigkeit, Gesetzmässigkeiten zu erkennen und scheinbar Zusammenhangloses zu verknüpfen. Nicht das schnelle Aufnehmen neuer Informationen, sondern das Einordnen in bereits vorhandenes Wissen, lässt ältere Arbeitnehmende intuitiv weitsichtige Entscheidungen treffen. Diese Fähigkeiten helfen, komplexe Themen zu bearbeiten und zu eleganten,
effizienten Lösungen zu gelangen. Diese Gelassenheit ist eine Facette jener Fähigkeiten, die vor allem Menschen jenseits der Lebensmitte zugesprochen wird: der Weisheit, einer Kombination aus Klugheit und Erfahrung, Urteilsvermögen und Bildung. Händel, Kant und Goethe beendeten grundlegende Werke im (fort-)gesetzten Alter.

Wie arbeiten Sie eine neue Führungsperson ein?
Während der Einführungszeit muss eine Führungskraft vielen Erwartungen gerecht werden, objektiv handeln und das grosse Ganze berücksichtigen. Der Anspruch des Aufsichtsgremiums, der Kader, der Mitarbeitenden, der Klienten und der Partner ist gross. Es gilt, viele Entscheidungen zu treffen und Massnahmen einzuleiten, immer mit konkreten
Auswirkungen. Infolgedessen können Widersprüche und Ungleichgewichte in der Ausrichtung der Strategie, Struktur und Kultur sowie in der Führung der Organisation entstehen. Ich unterstütze diese Führungskräfte durch theoretische und praktische Impulse in den Entscheidungsprozessen.

Und wenn Fehler passieren?
Die Forderung nach einer «guten» Fehlerkultur ist allgegenwärtig. Trotzdem ist die Angst vor Fehlern bzw. deren Auswirkungen enorm. Die Intention – Lieber nichts tun als das Verkehrte – kann schnell zum Boomerang werden. Da ist es ein Vorteil, sich gelegentlich oder regelmässig mit einem betriebswirtschaftlich erfahrenen «Mentor» auszutauschen, um
den eingeschlagenen Weg zu diskutieren und reflektieren.

Warum gibt es das in Branchen wie dem Sozialwesen weniger oft?
Das Sozial- und Gesundheitswesen befinden sich seit Jahren stark unter Professionalisierungs-Druck. Die Verbesserung von betrieblichen Abläufen und organisatorischen Strukturen sowie die Personalentwicklung stellen hohe Anforderungen an die Führungskräfte. Dieser überzogene Druck kann womöglich Scham erzeugen, das eigene Wirken zu reflektieren, strategische Fehler einzugestehen oder Probleme in der Organisation offenzulegen. Die Angst der Führungspersonen, als inkompetent zu gelten, ist gross, auch dann, wenn der langjährige Leistungsausweis ansprechend ist. Hier stehen die Aufsichtsorgane in der Pflicht, ihren Führungskräften (ohne Gesichtsverlust) entsprechende
Unterstützung zu ermöglichen.

Warum werden Sie engagiert?
Man muss die Zusammenarbeit mit Menschen unter schwierigen Bedingungen mögen und sich selbst nicht zu wichtig nehmen. Diskretion, Ehrlichkeit und Erfahrung ermöglichen langjährige vertrauensvolle Partnerschaften. Je grösser das Wissen über eine Organisation und deren Entwicklung, desto effizienter ist der Einsatz. Diesbezüglich kommen mir meine praktischen Führungs- und Krisen-Erfahrungen auf verschiedenen Leitungsstufen zugute.

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