Christian Martin ist CEO von Cisco Schweiz, einem äusserst erfolgreich agierenden Unternehmen im Auge des Sturms der Digitalisierung. Es wurde 2018 zum besten Arbeitgeber der Schweiz gekürt und verfügt über eine Helferkultur, von der Martin selber nicht richtig weiss, woher sie eigentlich kommt. Im Gespräch verrät uns der Herrliberger und zweifache Familienvater Erfolgsrezepte zu Themen wie Leadership, Strategie, Unternehmens-kultur und Cyber Security. Lesen lehrt und lohnt sich …
Was ist schweizerisch an Ihnen?
Mein Qualitätsanspruch ist ausgeprägt schweizerisch, und das ist in einem dynamischen Umfeld gar nicht mal so einfach. Nehmen wir die Softwarebranche mit den Cloude-Services. Um schneller zu sein, kommt vieles bereits im Beta-Status auf den Markt. Hier die Balance zwischen Innovation und Qualität zu finden, sehe ich als persönliche Herausforderung. Als Schweizer hat man lieber Qualität vor Geschwindigkeit. Wenn unsere Kunden technische Qualitätsprobleme haben, die wir nicht verhindern können, macht mir das zu schaffen.
Wie wird man bester Arbeitgeber der Schweiz?
Es geht in erster Linie um zwei Aspekte. Erstens, die Mitarbeiter sind unheimlich stolz, hier arbeiten zu dürfen. Sie sind vor allem stolz auf die Produkte. Dass sie das so sehen, hat einen Grund, und das ist der zweite Aspekt. Die Lösungen ermöglichen ihnen flexibles Arbeiten. Es gibt kaum eine andere Firma, die ein ähnliches Niveau an einem digitalen und flexiblen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt. Ich bin seit 1999 bei der Cisco. Das Allererste, was ich zum Start bekommen habe, war ein Router – ein Cisco-Produkt natürlich. Sie sagten mir, das ist für zuhause, Dein Home Office. Ich war völlig überfordert. Wie gehe ich damit um? Ich fragte meinen Manager, darf ich heute ab 15 Uhr schon von zuhause aus arbeiten? Er antwortete, Du musst mich nicht fragen, Du arbeitest
da, wo Du am effizientesten bist.
Wie muss ich mir Home Office à la Cisco vorstellen?
Wenn wir unsere Meetings abhalten, dann sind die Mitarbeitenden «remote» mit dabei. Von zuhause, unterwegs oder vom Büro aus per Video, man sieht sich, versteht sich kristallklar, kann gemeinsam auf Dokumente zugreifen, brainstormen am digitalen Whiteboard und in virtuellen Teams arbeiten. Unsere Mitarbeiter arbeiten mit Produkten, die wir selber herstellen
und vertreiben. Sie können ihre persönlichen positiven Erfahrungen im Verkaufsprozess an unsere Kunden und Partner weitergeben.
Sehen Sie im Home Office Approach auch Gefahren?
Flexibles, genauer ortsunabhängiges Arbeiten bringt in der Tat auch Herausforderungen mit sich. Wie schaffen wir einen tollen Teamspirit, wie eine dynamische Innovationskultur, und wie fördern wir das Know-how-Sharing innerhalb der Firma? Die Manager sind in der Verantwortung, dass diese Aspekte nicht zu kurz kommen und der Teamspirit gelebt wird. Produktstolz und Home Office. Das klingt super, aber ich zweifle, ob das reicht für die No. 1. Es gibt in der Tat einen dritten Aspekt, von dem ich gerne wüsste, wie man ihn eigentlich beeinflussen kann. Alle Mitarbeiter sagen mir, dass wir eine sehr anforderungsreiche Leistungskultur haben. Und alle sagen, sie hätten noch nie eine solche Helferkultur erlebt. Jeder hilft enorm, investiert viel Zeit ins Helfen und ich finde es wunderbar, wenn ich solche Feedbacks höre. Wir machen hier nichts bewusst. Wenn wir das irgendwie bewusst stimulieren oder fördern könnten, wäre das super.
Woher kommt diese Helferkultur?
Vielleicht daher, weil die Leute alle selber mal gefordert waren mit den Tools, der neuen Sprache in der Firma und dem wandelnden Umfeld. Und dann erinnern sie sich daran, wie ihnen geholfen wurde. Das sind immer wieder schöne Erlebnisse.
Tragen Sie etwas dazu bei?
Ich gehe halbjährlich mit unseren neuen Mitarbeitern essen. Was ich wissen will: Was kann man besser machen, wo mangelt es im Prozess der Eingewöhnung in den ersten Wochen im Job, was hat jemand in der früheren Firma mehr geschätzt, und was können wir daraus lernen?
Wo liegt Ihre grösste Stärke, oder anders gefragt, was schätzen Ihre Mitarbeiter an Ihnen?
Eine Frage in Richtung Selbstlob ist immer heikel. Versuchen wir es trotzdem. Ich schenke meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr viel Vertrauen und bin für sie da, wenn sie mich brauchen. Ich höre zu, nehme mir viel Zeit und lasse mich auch führen. Häufig bin ich der, der
am wenigsten Bescheid weiss.
Worauf achten Sie bei der Anstellung neuer Mitarbeitenden?
Jetzt kommen wir auf die Grundwerte zu sprechen, die mir wichtig sind. In Interviews interessiert mich jeweils, wo ein potenzieller Kandidat als Mensch steht. Hat er mal Sport gemacht, spielt er in einer Jugendmusik, wie war sein Ansehen da, was ist ihm wichtig, was waren für ihn die besten Manager, welches die Charakteristiken, die diese ausgezeichnet haben, was waren schlechte Managementerfahrungen, weshalb fand er diese schlecht, wie hat es ihn getroffen? Aufgrund der Antworten kann man sich dann ein Bild einer Person machen, um festzustellen, ob diese die richtigen Grundwerte vertritt, was dann die Grundalge fürs Vertrauen ist. Die fachlichen Qualitäten wurden im Vorfeld bereits geprüft.
Was sagen Sie zu unserem dualen Bildungssystem?
Unser duales Bildungssystem ist genial, und es muss uns gelingen, die Lehre, im Kontext der Globalisierung, zu stärken. Ich selber habe eine Lehre gemacht und bin zum jetzigen Zeitpunkt sehr froh, dass ich das durchgemacht habe. Sie war ein wichtiger Knopföffner für mich, ich habe ihn relativ spät aufgemacht. Es war der Moment, wie ich bei Mettler Toledo, wo ich eine Lehre als Maschinenmechaniker absolvierte, an der Produktionsstrasse während sechs Monaten Arbeiten verrichtete. Mir hat das gutgetan.
Wo muss unser duales Bildungssystem besser werden?
Ich kann das an zwei eigenen Erfahrungen festmachen. Einen Moment lang hatte ich den Entscheid zugunsten einer Lehre bereut. Ich hatte mich beim Fussballspielen verletzt, musste operiert werden und wollte danach eine Laufbahn als Orthopäde einschlagen. Aber all die Schritte, die ich hätte unternehmen müssen, mit Matura, Studium, hätten zu lange gedauert. Ein zweites Mal, wo ich es bereut habe, war dann, als ich in die USA studieren ging. Da kennt man die Schweizer Lehre einfach nicht. Ich musste bei null beginnen und all die Tests machen. Heute sind die Wege nach der Lehre für eine akademische Laufbahn viel offener. Wenn es uns
gelingt, die Lehre zu bewahren und die Wege nach oben offenzuhalten, dann ist es das genialste Ausbildungsprogramm, das wir überhaupt haben können. Aber wir müssen alle sehr viel machen dafür.
Mit welchem Werbeslogan wollen Sie junge SchweizerInnen für eine Laufbahn in einem Technikerberuf gewinnen?
Es gibt nichts Besseres als eine technische Grundausbildung. Man lernt analytisch und strukturiert ein Problem angehen und das hilft überall. Zweitens ist es relativ einfach, von einem Technikerberuf aus in eine Managementposition zu wechseln. Der umgekehrte Weg ist viel schwieriger. Drittens glaube ich, dass technische Berufe enorm kreativ sind. Eines der Probleme ist, dass Technik als etwas Naturwissenschaftliches angesehen wird, was vor allem Frauen von einer Laufbahn abhält. Hier müssen wir als Industrie grosse Aufklärungsanstrengungen unternehmen und vermitteln, dass Technikerberufe enorm kreativ sind. Es ist die Industrie, die in den nächsten 20 bis 30 Jahren unsere Welt bewegen wird.
Welche Rolle spielt der Standort Zürich innerhalb des Konzerns?
Die Schweiz insgesamt ist ein sehr wichtiger Standort. Wir haben Ingenieure hier in der Schweiz, die man im Silicon Valley gar nicht mehr findet. Ihren Bestand werden wir ausbauen. Die Engineering-Kosten sind zwar hoch, dafür ist die Fehlerquote dank hohem Qualitätsstandard geringer, und der höhere Output überkompensiert den höheren Preis. Von daher ist die Schweiz ein super Standort. Die Strategie der Cisco Schweiz ist es, hier ausgebildete Menschen einzustellen, die auch hier ihre Zukunft sehen.
Cisco ist eine Firma, die sich stets erneuert, und das mit viel Dynamik. Was sind die Erfolgsfaktoren?
Wir befinden uns als Technologiekonzern tatsächlich in einer massiven Transformation und sind dabei sehr herausgefordert. Dennoch sehen wir Technologie innerhalb der Firma nicht als Religion. Wir halten nicht an Dingen fest, nur weil zuvor viel Herzblut reingeflossen ist. Ich denke, das ist einer der Erfolgsfaktoren. Ein weiterer ist der, dass bei uns die Dinge konsequent durchgezogen werden, aber dann auch gestoppt werden, wenn keine Erfolgsaussichten bestehen. Ein dritter Faktor ist der, dass Cisco im Vergleich zu vielen unserer Marktbegleiter glücklicherweise über relativ gute Cash-Reserven verfügt. So können wir unsere eigene Transformation konsequent vorantreiben. Die Gefahr von Verzettelung scheint mir in Ihrer Branche besonders gross und ein strategischer Fokus entsprechend schwierig. Cisco ist ein horizontaler Technologie-Lösungsprovider. Das ist unsere Strategie. Wir gehen nicht hin und machen «Finance-Applikationen» oder designen Business-Prozesse für die Digitalisierung von Industrien. Wir liefern Infrastrukturen, die unsere Kunden sicher und kosteneffizient betreiben können, ob in der Public Cloud, in der Private Cloud oder als Managed Service. Und das in einem sich rasant wandelnden Umfeld. Fast jede Firma in der Schweiz ist Kunde von uns, aber in unterschiedlicher Form. Wir bieten Collaboration- Lösungen, Severs, Switchers, Routers, Access Points, was es halt braucht, um IT zu betreiben.
Wo liegen die künftigen Wachstumsfelder Ihres Hauses?
Es gibt sehr viele Wachstumsfelder, die durch die Digitalisierungprozesse bei unseren Kunden entstehen. Aber auch in unserem Kernbusiness entsteht gerade unser grösster, direkt adressierbarer Markt – getrieben durch neue Technologien. Der Markt für IT-Infrastruktur ist 40 bis 60 Milliarden Dollar gross. Der jährliche Markt um diese Netze zu betreiben, mittels Tools und Prozessen und Services, ist drei bis vier Mal grösser. Diese Kosten können wir mittels neuesten Automatisierungstechnologien massiv reduzieren und gleichzeitig die Sicherheit erhöhen und die Prozesse beschleunigen. Es ist der Schmerzpunkt unserer Kunden, denn diese haben mit konstant tiefer werdenden Budgets zu kämpfen, und wir können mit unseren kosteneffizienten Lösungen helfen. Und dann gibt es natürlich komplett neue Geschäftsfelder. Ich denke an Cyber Security, Cloud Security, Analytics, Automatisierungs- und Orchestrierungslösungen und natürlich ganz neue Formen, die den digitalen Arbeitsplatz
ermöglichen. Hier sehe ich unsere grössten Wachstumschancen.
Wo sehen Sie hier die grössten Gefahren für Schweizer KMU?
KMU haben hier weniger Möglichkeiten als Grossunternehmen an spezialisiertes Know-how zu kommen. Aber dieses Segment hat genau die gleichen Herausforderungen wie Grossunternehmen. Ich sehe es beim Start-up-Projekt meiner Frau, eine Arztpraxis. Es ist super spannend, aber die Komplexität ist für ein KMU schon sehr hoch. Die Firmen, die das Röntgengerät und die Lungenfunktionsmaschine liefern, machen einen besseren Preis bei Fernwartung, benötigen dazu aber Zugriff aufs Gerät. Dann haben Sie die Patientensoftware, die in der Cloud läuft. Nun wollen sie noch andere Applikation wie zum Beispiel Kollaborationslösungen mit dieser verknüpfen, um einen Mehrwert zu schaffen. Das braucht API und Integrationen und das Ganze im Kontext des Bundesgesetzes für Patientenschutz, Cybercrime. Für dieses Segment braucht es hochqualifizierte Partner, aber auch einfache Zertifizierungen für Produkte und Services. Als Cisco gehen wir Partnerschaften mit Staaten wie der Eidgenossenschaft ein, um hier einen Schritt vorwärts zu kommen. Wir haben Programme initiiert, die sich auch mit der Frage beschäftigen, wie wir den KMU- Verantwortlichen helfen können, ihre Umgebung sicherer zu machen. Dazu gehört ein Ausbildungsteil, aber auch einfache, standardisierte Services wie zum Beispiel Security as a Service.
Wo sehen Sie den grössten Aufrüstungsbedarf?
KMU-Verantwortliche benötigen einen kompetenten Partner, der ihnen automatisierte Lösungen offerieren kann und der sie nicht mit allen Themen totschlägt. Meine Traumvorstellung ist die, dass der Kunde sagen kann, ich habe einen Service, und der sorgt dafür, dass ich sicher bin. Ende Woche kriege ich jeweils ein Update mit allen Angaben, etwa wie viel Malware abgefangen wurde, ob der Backup ordentlich gemacht wurde, ob alle Systeme mit den neusten Patches versehen sind, und ich muss mir als KMU keine Sorgen machen. Das gibt es so in dieser Komplexität noch nicht. Aber daran arbeiten wir. Wir wollen solche neuen Angebote auf den Markt bringen und unseren Kunden bei der Bewältigung der kommenden Herausforderungen der Digitalisierung helfen. Was unsere Helferkultur anbelangt soll diese auch unseren Kunden zugute kommen.