Die Engadiner Gemeinde Pontresina hat die Vorzüge des Veranstaltungsgeschäfts bereits früh erkannt. Der Beitrag beleuchtet, wie sie sich erfolgreich neben grossen MICE-Bergdestinationen wie Davos oder Interlaken positionieren kann.
Das Veranstaltungsgeschäft «MICE-Business» rund um Meetings, Incentives, Conventions und Exhibitions (MICE) ist heute einer der tragenden Pfeiler des Schweizer Tourismus. Laut dem Meetings Report Schweiz von Schweiz Tourismus aus dem Jahre 2016 beträgt der Anteil der Veranstaltungsindustrie an den Logiernächten in der Schweizer Hotellerie 17.7 Prozent. Von diesen Veranstaltungen finden 84 Prozent in städtischen Gebieten statt, während die Land- und Bergregionen sich die verbleibenden 16 Prozent aufteilen.
Das heisst also, dass das alpine Kongresswesen jährlich rund eine halbe Million Logiernächte generiert. Im Vergleich zu den 37 Millionen Übernachtungen, welche 2017 gesamtschweizerisch registriert wurden, mag eine solche Zahl zwar gering erscheinen, doch gerade für die Bergregionen ist das Veranstaltungsgeschäft heute bedeutender denn je. Es hat sich zu einem wichtigen Komplementärangebot zum Ferientourismus entwickelt, welches vor allem die Nebensaison belebt. In Pontresina haben vor 20 Jahren der damalige Kurdirektor Markus Lergier und Gemeindepräsident Geni Peter die Wichtigkeit dieses ergänzenden Angebots erkannt und ihrer Vision Taten folgen lassen. Unter ihrer Regie wurde in der kleinen Gemeinde das erste Kongresshaus des Engadins erbaut. Als einen «vorausschauenden Entscheid und ein deutliches Bekenntnis zum MICE-Geschäft» bezeichnet Jan Steiner, der amtierende Tourismusdirektor von Pontresina, den damaligen Entscheid. Wenngleich es mit der 30 Millionen Franken teuren Investition alleine noch nicht getan war.
Das Gesamtpaket muss stimmen
Warum soll man für eine geschäftliche Veranstaltung einen dreistündigen Anfahrtsweg auf sich nehmen? Mit solchen Fragen werden die Kongressverantwortlichen in Pontresina nicht selten konfrontiert. Klar, wenn jemand eine kurze, trockene Sitzung abhalten möchte, der wird die Anreise nicht auf sich nehmen. Wer jedoch ein anregendes Meeting mit Weitblick inmitten der Engadiner Bergwelt durchführen möchte, kommt hier auf seine Kosten. «Pontresina ist ideal für Meetings in Verbindung mit Incentives und eignet sich hervorragend für mehrtägige Anlässe wie Strategie-Workshops, Kreativ-Retreats oder Teambildung-Events», erklärt Steiner. Und trotz Weitsicht sind die Distanzen in Pontresina kurz, denn das Kongresszentrum und die zahlreichen Hotels mit moderner MICE-Infrastruktur sind alle innerhalb von sieben Minuten zu Fuss erreichbar.
Für ein erfolgreiches MICE-Geschäft muss allerdings das Gesamtpaket stimmen. Dazu gehören Übernachtung, Verpflegung, Kongresslokalität und ein Business-Service auf Top-Niveau. Wichtig ist dabei, neben der Wahrung der Servicequalität und der Freundlichkeit des Personals, stets in die Weiterentwicklung der MICE-Infrastruktur zu investieren. Pontresina hat diesen Bedarf bereits frühzeitig erkannt und verfügt heute über ein zeitgemässes und qualitativ hochstehendes Veranstaltungsangebot, welches kontinuierlich geprüft und weiterentwickelt wird.
Herausforderungen bleiben gross
Generell ist das MICE-Geschäft in den vergangenen Jahren deutlich herausfordernder geworden. Ein Hindernis für viele Bergdestinationen stellt die Compliance (Regelkonformität) dar. Verschiedene Ferienorte stehen als solche auf der Blacklist, auch Pontresina. Kongresse, welche auf Unterstützung von pharma- oder medizintechnischen Herstellern angewiesen sind, dürfen deshalb nicht in Pontresina durchgeführt werden, egal, ob die Teilnehmer in einem 5-Sterne- oder einem 3-Sterne-Hotel wohnen. Von der Liste wegzukommen, ist schwierig. «Für Pontresina ist dieses Schwarz-Weiss-Denken sehr von Nachteil. Dabei kann man sich im Umfeld einer Stadt doch noch viel stärker ablenken als bei uns. Aber dort gelten Kongresshäuser eben eher als neutrale Standorte», sagt Steiner.
Hinzu kommt noch, dass das Kongress- und Kulturzentrum Pontresina vor 20 Jahren erbaut wurde. Damals war es im Dorf das einzige Zentrum mit Seminarräumen, aber heutzutage hat fast jedes Hotel eigene Seminarräume. Dennoch ist der Umgang untereinander trotz dieser «hausgemachten» Konkurrenzsituation kulant und fair. «Statt sich dem Futterneid hinzugeben, freut man sich, dass der Gast sich für Pontresina entschieden hat. Sicher, am Ende ist jeder ein Einzelkämpfer, aber auf einem sehr konstruktiven Niveau», so der Tourismusdirektor. Steigerungspotenzial ortet Jan Steiner vor allem in der regionalen Nutzung, denn in Pontresina steht das einzige Kongresszentrum im Oberengadin. Ausserdem will er das Bewusstsein fördern, dass Pontresina und St. Moritz praktisch eins sind. Viele Gäste reisen nach wie vor nur zu einem Kongress ins Engadin, wenn dieser in St. Moritz stattfindet. Für Steiner unverständlich, denn Pontresina liegt lediglich acht Fahrminuten von St. Moritz entfernt.
Drei Fragen an Jan Steiner:
Welche Rolle spielt heute der Preis im Kongresswesen?
Der Preis ist bei uns selten ein Thema. Wir sind ja auch nicht teurer als urbane Destinationen. Im Preis widerspiegelt sich zwar auch die Qualität, umgekehrt haben aber Aussagen wie «je mehr 5-Sterne-Hotels, desto mehr MICE-Geschäft» heute keine Gültigkeit mehr. Es ist inzwischen so, dass Kongressgäste auch ohne Probleme in 2-, 3-, und 4-Sterne-Hotels übernachten. Das «versnobte» Kongresswesen von vor 20 Jahren, als man unter dem Vorwand eines Kongresses eine Woche Skifahren ging, existiert nicht mehr. Der Geschäftsreisende
von heute kommt in die Berge, um zu arbeiten.
Wie sieht die Konkurrenzsituation mit den Bergregionen der Nachbarländer aus?
Hier verhält es sich ähnlich wie beim Ferientourismus. Klar gibt es unter den Nachbarländern starke Konkurrenz. Beispielsweise werden in Österreich Kongresse organisiert und veranstaltet, die eine ähnlich hohe Qualität wie in der Schweiz haben. Wer jedoch Richtung Italien und Frankreich fährt, erlebt nicht dieselbe Qualität.
Ist die Schweiz vom Preis her konkurrenzfähig?
Absolut! Was die Beherbergung von Kongressteilnehmern betrifft, sind wir durchaus konkurrenzfähig – sowohl gegenüber Städten als auch dem Ausland. Was uns in der Schweiz verteuert, sind Verpflegung und die entsprechenden Rahmenbedingungen.