Wir befinden uns in Zeiten, in welchen Verschwörungstheorien und alle möglichen Szenarien kursieren, die Menschen sich nicht sicher sind, was ihnen mittelfristig die ungewisse Zukunft bringt und natürlich auch die Wirtschaft und die Unternehmen wissen wollen, auf welche Trends und Entwicklungen zu reagieren sein wird. Um solches zu erfahren, werden Futurologen wie Andreas Walker befragt.
Andreas Walker ist landesweit eine Kapazität in seinem Kernkompetenzbereich. Der Futurologe berät mit seiner Firma weiterdenken.ch Entscheidungsträger in der Politik, bei den Behörden, Wirtschaft und NPOs zu Fragen zukünftiger Chancen und Risiken, Handlungsoptionen und Entscheidungsbedarf. Er war ein Jahrzehnt Co-Präsident von Swissfuture, der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung. Er förderte und koordinierte Bemühungen der Zukunftsforschung und -planung und machte deren Ergebnisse der Allgemeinheit zugänglich, indem er das Interesse der Öffentlichkeit an
einer systematischen Analyse von Zukunftsproblemen durch Veranstaltungen und Publikationen weckte. Er schuf auch eine Basis für den Informationsaustausch über Zukunftsfragen und unterstützte zukunftsgerichtete Forschungsvorhaben. Sein Ziel war immer, eine prospektive Haltung, Orientierungs- und Entscheidungshilfen im Hinblick auf Zukunftsfragen in Verwaltung, Wirtschaft und Politik zu vermitteln. Ausserdem arbeitete
Walker bei internationalen Gremien an zukunftsorientierten Fragestellungen mit. In dieser Funktion war der Mitherausgeber der akademischen Zeitschrift «swissfuture – das Magazin für Zukunftsmonitoring» Mitglied der Präsidentenkonferenz und der Delegiertenversammlung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften.
«Geschäftsführer»: Andreas Walker, was macht ein Futurologe?
Andreas Walker: In unserer Arbeit geht es um das frühe Erkennen von Veränderungen. Primär geht es um das Erkennen von zukünftigen Märkten und Kunden. Zweitens geht es um Technologiefolgenabschätzungen – also das frühe Erkennen von Innovationen und deren Konsequenzen: Wo gehen die Technologien hin, an was wird geforscht, wo werden neue Patente beantragt? Und wenn wir dann beispielsweise die Digitalisierung als neue
Technologie haben, erforschen wir die Auswirkungen auf unser Arbeitsund Privatleben und unsere Werte. Ein anderer Bereich ist das Risikomanagement: Wo tauchen welche neuen Gefahren auftauchen und wie können wir diesen vorbeugen? Es geht immer um die Sensibilisierung für neue Chancen und Risiken, das Aufzeigen von Entscheidungen und
Handlungsmöglichkeiten.
Gibt es besondere Disziplinen und welche sind hierbei Ihre Kernkompetenzen?
Die Branchen spielen eine wichtige Rolle. Sei es in der Marktforschung, in der Produkteentwicklung oder in der Stadt- und Verkehrsplanung. Ich arbeite häufig als Strategiecoach für Geschäftsleitungen oder Politiker. Ich sensibilisiere für Chancen und Risiken, weise auf Lösungen hin und helfe bei der Umsetzung. Ich schreibe Studien und begleite Innovationsteams. Dazu referiere ich an Events und schreibe Artikel.
Wir befinden uns in einer Zeit von Disruptionen und neuen Entwicklungen. Eine aktuelle Disruption ist Corona. Eine Neugestaltung der Welt findet aber auch durch Globalisierung, Digitalisierung, durch demografische aber auch durch gesellschaftliche Veränderungen statt. Arbeitswelten verändern sich und man könnte fast von einem «Revival des moderaten Sozialdarwinismus» sprechen. Wie sehen Sie die Tendenzen für die mittelfristige Zukunft weltweit, in der
Schweiz und in der Metropolitanregion Basel?
Disruption bedeutet Überraschung und Bruch. Spielregeln und Erfolgsfaktoren werden plötzlich und massiv geändert. Globalisierung und Digitalisierung sind schon lange erkennbar und gestaltbar. Ich vergleiche es mit dem «schwarzen Schwan». Dies ist eine Überraschung, die wir nicht kommen sehen, weil sie neu und unbekannt ist. Aber Corona ist ein «schwarzer Elefant». Wir sprechen schon lange von der Gefahr von Pandemien,
aber haben dies nicht ernst genommen und wichtige Vorbereitungen unterschätzt. Es geht nicht nur um Überraschungen, sondern um das Hinschauen, wo wir Veränderungen erkennen.
Dabei spricht man von den grossen Veränderungen als Megatrends. Wir haben auch schon darüber berichtet. Welche Megatrends werden auf uns zukommen?
In der Fachwelt reden wir von rund 150 Megatrends. Bei einem konkreten Projekt kann ein Dutzend berücksichtigt werden. Der wichtigste ist wohl, dass wir alle zusammen älter werden. Damit hängt der Megatrend Gesundheit eng zusammen. Auch die Digitalisierung beschäftigt uns intensiv und schafft neue Möglichkeiten. Oder dass wir zu einer Null-Risiko-Gesellschaft werden. Legen wir diese Megatrends übereinander, dann verstehen wir die Corona-Krise ganz neu. Die wachsende Bedeutung der Frauen in Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit ist ein anderer Megatrend. Dies verändert unser Verständnis von Familie. Nehmen wir nun die Vielzahl an Apps in den Social Media oder digitale Dating Plattformen
wie Tinder, dann sehen wir, wie Kommunikation, Beziehungsformen und Werte sich stark ändern.
Als «Mann der Region» beobachten Sie auch die Entwicklungen und künftigen Perspektiven in der Region. Wie ist Ihre Einschätzung, in welchen Bereichen sich in der Nordwestschweiz Disruptives tun wird?
Es ist interessant, wie sich unsere Region auf ihrer Vergangenheit ausruht. Wir verlassen uns auf die Life Science-Branche als Trumpf. Gesundheit ist auch einer der wichtigsten Megatrends. Doch wenn wir nun von der zukünftigen Bedeutung von synthetischer Biologie, Gentechnologie und BigData im Zusammenhang mit elektronischen Patientendossiers reden, müssen wir uns fragen, ob wir ethisch und politisch offen dafür sind. Corona hat uns zudem gezeigt, wie unsere Region von der Grenzfrage und Internationalität abhängig ist. Wenn wir von Start-ups und Zukunftstechnologien sprechen wollen, dann müssen wir zudem endlich Lösungen für die Finanzierung des Wagniskapitals finden.
Inwiefern ist die ständige Neuorientierung im Mediennutzungsverhalten der diversen Anspruchsgruppen für die Zukunftsforschung von Bedeutung? Das Kommunikationsverhalten und die Mediennutzung wird immer heterogener und auf Mikrozielgruppen mit gerichtet. Mikro Influencing, Filterblasen… das ist die Realität.
Marketing und Werbung sind messbar geworden, wir können Filterblasen definieren und Conversion Rates berechnen. Vieles ist möglich geworden. Doch damit BigData funktioniert, braucht es sehr viele Daten, so wie bei google, facebook oder einer internationalen Bank. Das dann auf ein regionales KMU zu übertragen, ist nicht so einfach.
Sollen wir nun mit Angst oder Hoffnung in die Zukunft schauen?
2009 habe ich das Hoffnungsbarometer als Antwort auf das Sorgenbarometer und das Angstbarometer gegründet. In unserer Kultur sind wir sehr vorsichtig und daraus ist eine Null-Risiko-Kultur geworden. Angst ist eine natürliche Emotion, Hoffnung und Mut dagegen sind Haltungen, für die wir uns entscheiden müssen und die wir dann fördern können. Wir wissen aber wissenschaftlich noch sehr wenig, wie Hoffnung wirkt. Ich habe mich
entschieden, hoffnungsvoll an einer guten Zukunft zu arbeiten, die für meine Kinder und Enkelkinder lebenswert sein wird.