Das Jahr 1968 ist die Chiffre für den Protest einer Jugendgeneration. Mit Slogans wie «Der Muff von 1000 Jahren unter den Talaren» wollten die Aktionisten den Staub der Geschichte abschütteln und in eine neue Gesellschaft aufbrechen. Vom 14.9.2018 bis 20.1.2019 bietet das Landesmuseum Zürich einen Einblick in das turbulente Jahr und seine Folgen.
Das turbulente Jahr 1968 hat sich in unser mediales Gedächtnis eingebrannt. Die Bilderspuren beleuchten die dramatischen Ereignisse: die Tet-Offensive des Vietcong, die Attentate auf Martin Luther King und Rudi Dutschke, die Barrikaden in Paris, die Unruhen und Unterdrückung in Mexiko und die sowjetischen Panzer in Prag. Die Wirkungsmächtigkeit der Bilder ist immer noch präsent. Allerdings stellt sich trotzdem folgende Frage: Warum haben sich diese Bilder so in unser kulturelles Gedächtnis eingegraben?
Die Antwort ist nicht einfach, da das Thema 1968 auch ein umkämpftes Terrain um die Deutungshoheit der Ereignisse geworden ist. Auf jeden Fall war 1968 ein subjektiver Ausbruch aus verkrusteten Strukturen. Jugendbewegungen setzten sich ab und wollten ihr eigenes Lebensgefühl verwirklichen. Das fing bei dem Stolz auf die erste Jeans an, setzte sich über eine neue Musikkultur fort und mündete auch in politischen Forderungen. Einige Akteure wollten eine Revolution anzetteln und landeten in fürchterlichen Sackgassen. Eine Revolution trat nicht ein, wohl aber wurden die Gesellschaften revolutionär umgewälzt. Das kann man beispielsweise an der Position von Frauen in der Gesellschaft festmachen. Ende der Sechzigerjahre durften Frauen in der Schweiz noch nicht wählen und konnten keinen eigenen Kredit aufnehmen, wenn sie verheiratet waren. Das kann man sich heute alles nicht mehr vorstellen. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass 1968 nicht ein fixer Punkt in der Geschichte war, sondern ein Kulminationspunkt in einem Prozess.
Ein Lebensgefühl wird ausgestellt
Im Landesmuseum kann man jetzt sein Gedächtnis auffrischen. Als Nachkommen der 68er-Generation zeigen Stefan Zweifel und Juri Steiner ihre Perspektive dieser prägenden Zeit. Die Ausstellung im Landesmuseum ist eine Collage aus Objekten, Filmen, Fotos, Musik und Kunstwerken und macht die Atmosphäre von 1968 sinnlich erlebbar. «Imagine 68» ist ein lustvolles Hineinleben in die 68er-Kultur.
Die Artikel, Bücher, Ausstellungen und Dokumentarfilme zum 50. Jahrestag der 68er-Ereignisse haben es erneut gezeigt: Wie keine andere Generation des 20. Jahrhunderts haben die 68er für einen gesellschaftlichen Umbruch in allen Lebensbereichen gesorgt. Ihre Revolte war jung, international, spontan und theoretisch, befreiend, kämpferisch – und auch problematisch.
Revolte und Kater
Mit der Ausstellung «Imagine 68» unternehmen die Gastkuratoren den Versuch, sich der Atmosphäre von damals zu stellen. Den theoretischen Rahmen bildet Guy Debords radikale Kulturkritik «Die Gesellschaft des Spektakels», die in Paris den Mai 68 intellektuell, künstlerisch und weltanschaulich vorbereitete. Mit provokativem Aktionismus wollten Debord und seine Gruppe «Situationistische Internationale» betonierte gesellschaftliche Strukturen aufbrechen und Poesie ins Alltagsleben bringen. Die Revolte schien die Realisierung des Traums vom freien Leben in Griffnähe zu bringen. In der Schweiz, in den USA und in Deutschland durchlief der Widerstand verschiedene Stadien. In Frankreich entfaltete er für einen Moment sein ganzes Potenzial, als im Mai 1968 der Sprung vom Generalstreik zur Revolution möglich schien. Doch es kam anders. Desillusioniert ob der Brutalisierung und Kommerzialisierung des Widerstands lösten sich die Situationisten 1972 auf.
Die Schweiz in Bewegung
In der Schweiz gingen den 68er-Jugendunruhen, das Konzert der Rolling Stones von 1967 und der Auftritt von Jimi Hendrix Ende Mai 1968 im Hallenstadion voraus. Beide Anlässe endeten in Protesten. Auch die Forderung nach einem Jugendhaus führte in Zürich zum sogenannten Globus-Krawall. Als direkte Reaktion darauf unterzeichneten 21 Personen aus Politik, Kultur und Wissenschaft, die sich auf die Seite der Jugendlichen stellten, das Zürcher Manifest. Am Happening «6 Tage Zürcher Manifest» vom September 1968 hatten die Teilnehmer im Centre Le Corbusier die Möglichkeit, sich anhand einer Wandzeitung zu äussern. Rund 400 handbeschriebene und 50 gedruckte Plakate sind erhalten geblieben. Sie widerspiegeln die damals brennenden Themen: Polizeigewalt, autonomes Jugendzentrum, Vietnam, Pazifismus, Frauenbewegung, Schul- und Universitätsreformen.
Der subjektive Blick
«Imagine 68» strebt weder ein politisches Schaugericht noch ein enzyklopädisches Ausfransen in alle damaligen lokalen Positionen und Figuren an. Vielmehr wird eine spontane Lust am Vertiefen einzelner Momente gefördert. Zu erleben sind kulturhistorische Objekte, Fotografien, Tonaufnahmen und Filme aus Museen und privaten internationalen Sammlungen sowie aus den Beständen des Schweizer Nationalmuseums. Kunstwerke unter anderem von Andy Warhol, Sigmar Polke, Robert Indiana, Claes Oldenburg, Joseph Beuys, Valie Export, Doris Stauffer, Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle lassen die Besucherinnen und Besucher in den Geist von 1968 eintauchen.