«Bier braucht Heimat» ist out. Jetzt ist «craft beer» angesagt. Der Unterschied ist bescheiden, er beruht schlicht auf Marketing. Die Biertrinker wollen Vielfalt. Die Kleinst-, Mikro- und Nanobrauer können diesen Wunsch erfüllen. Aber Craft Beer hat im Getränkemarkt nur eine Chance, wenn die Flaschen in die Regale der Grossverteiler kommen. In Craft Beer zu investieren, ist etwas für Liebhaber.

Zurzeit sind in der Schweiz 1 000 Braustätten am Zapfhahn. Das ist erstaunlich, denn vor 27 Jahren waren es noch rund 30. Als 1991 das Bierkartell fiel, begannen die Konsumenten nach Biervielfalt zu dürsten. Die Schweizer Kartellbrauer waren aber zu schläfrig, die Nachfrage mit eigenen neuen Biersorten zu befriedigen, und begannen drum Bier zu importieren! Doch die Bierkonsumenten durchschauten die Taktik und verlangten nach regionalen, saisonalen und geschmacklichen Eigenbräuen. «Bier braucht Heimat», erschallte der Schlachtruf der Bier­trinker – und wurde gehört. Aber nicht von den Grossen, sondern von abenteuerlustigen Mikro-, Nano- und Hobbybrauern, die alsbald die schweren Töpfe hervorholten und in Küchen und Kellern zu brauen begannen. Die ehemaligen Kartellbrauereien hatten für den neuen Trend nur ein müdes Lächeln übrig. «Bade­wannenbier» spotteten sie und legten sich wieder hin.

Kleine Brauereien entstehen
Die Biere aus der Heimat begannen zu boomen. Und je mehr sich die grossen ehemaligen Kartellbrauereien zu kannibalisieren begannen, desto stärker wurde die Kleinbierszene. Als schliesslich das niederländische Heineken und das dänische Carlsberg sich die wenigen verbliebenen Schweizer Traditionsbrauereien einverleibten, und den Schweizer Markt unter sich aufgeteilt hatten, war die Geduld bei den Bierfreunden dahin. Sie begannen sich den Gross-Bieren zu verweigern, rotteten sich zusammen, investierten ihre Ersparnisse in Brauanlagen und gründeten Aktiengesellschaften mit dem Zweck, eigenes Bier zu brauen. Dividende: ein Harass Bier, abzuholen an der Generalversammlung, nach Verzehr von Fleischkäse und Kartoffelsalat. Gaudeamus cerevisiam bibat (Seid fröhlich, trinkt Bier). 

Seit rund zehn Jahren gehen in der Schweiz jede Woche mindestens zwei neue Braustätten auf – und eine zu. Manche Investoren machen sich falsche Vorstellungen. Eine kleine Brauanlage ist für wenige 10᾽000 Franken zu haben, die Material- und Produktionskosten halten sich im Rahmen und die Personalkosten fallen vielerorts dank Fronarbeit der Investoren und Aktionäre weg – anfänglich jedenfalls. Das Problem der neuen Mikro­brauereien liegt in der Distribution. Wessen Flaschen nicht von einem (Gross-)Verteiler mitgenommen und ins Ladenregal gestellt werden, hat es sehr schwer. Mit Rampenverkauf allein wurde noch keiner reich.

Craft Beer im Vormarsch
Mit «Bier braucht Heimat» und einem grossen Freundeskreis ist das Biergeschäft nicht zu machen. Da muss peppigeres Marketing her. Die Kleinbrauer in den USA haben es längst erkannt. Ihr Zauberwort heisst nicht homeland, sondern craft, also Handwerk. Craft Beer hat sich in Nordamerika zu einem Brand entwickelt, der die Sortenbezeichnung konterkariert und den Biernamen von der Etikette vertreibt. Craft Beer ist in aller Munde. Nun auch in Europa. Und in der Schweiz. Craft Beer verdrängt Heimatbier. Die Kleinbrauer setzen viel auf diese Bezeichnung.

Craft Beer ist – sprachlich korrekt – nichts anderes als handwerklich gebrautes Bier. Das allein wäre noch keine wirkliche Innovation, weshalb man heute unter Craft Beer auch alle jene Gebräue subsumiert, die mit Zusatzstoffen parfümiert werden. Zu Ostern mit ein bisschen Veilchenduft, im Sommer Löwenzahn, im Herbst ist Marroni sehr beliebt und im Dezember schliesslich Nelken und Zimt, das X-mas Beer. Tausende von Varianten sind denkbar – mit Früchten, Gewürzen, Kaffee und Schokolade. Es wird in Spanien schon Craft Beer mit Meerwasser gebraut und in den USA wird welches mit gebratenem Ziegenhirn verfeinert. Die Spitze des zweifelhaften Geschmacks dürfte jene polnische Kleinbrauerei erreicht haben, die ihr Bier mit Vaginalabstrichen bekannter Models anreichert.

Schweizer Craft-Bier-Szene
Wer dennoch Craft Beer geniessen will, kann das hierzulande getrost tun. Die Lebensmittel-Gesetzgebung macht den Brauern klare Vorschriften, was unter der Bezeichnung Bier in den Handel darf. Das Reinheitsgebot, wonach Bier grob gesagt nur aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser bestehen darf, war in einer abgeschwächten Version zwar bis 2017 auch in der Schweiz gültig. Seither ist die Vorschrift aber stark gelockert worden und erlaubt die Zugabe von natürlichen Fremdstoffen. Diese Beigaben müssen aber klar deklariert werden. Immerhin: Wenn auf der Flasche Bier steht, muss auch Bier drin sein.

Den Trend, den Helvetiens Kleinst-, Mikro- und Nanobrauereien anstiessen und weiterentwickelten, haben natürlich auch die Mittel- und Grossbrauereien mitbekommen. Nachdem sie seinerzeit begriffen hatten, dass Bier Heimat braucht, richteten sie ihr Marketing flugs auf Heimat aus und bedrängten damit die Kleinen. Sie haben gelernt. Bald schwenken die Grossen wohl auf Craft Beer um. Längst brauen nämlich auch die Grossen unfiltrierte Spezialitäten, die bislang die klassischen Nischenprodukte der Kleinen waren. Denn das anfängliche Lächeln ist den Grossbrauern im Gesicht gefroren, seit sie mit sinkendem Absatz und steigender Konkurrenz rechnen müssen. Nicht im übertriebenen Rahmen, gewiss, aber merklich. Jeder Liter Bier, der aus einer Craft-Beer-Brauerei kommt, ist logischerweise einer weniger aus der Grossbrauerei. Und das merkt jeder Brauer; vor allem, weil der Bierkonsum seit Jahren stetig sinkt.

Darum die Flucht aller Brauer ins Craft Beer. Aber die Bierherstellung in Grossbrauereien geschieht nicht «von Hand», sondern in computergesteuerten geschlossenen Systemen. Der Brauer arbeitet dort im Strassenanzug, vielleicht im weissen Labormantel. In der Werbung jedoch kommen die Gross-Braumeister in der Lederschürze daher. Den Computer bedient man ja schliesslich immer noch von Hand. 

Bierzahlen 2017 / 18

  • Schweizer Bier: 360’348’500 Liter (76.7 Prozent) 
  • Importbier: 109’199’000 Liter (23.3 Prozent) 
  • Pro-Kopf-Verbrauch: 55 Liter, Tendenz sinkend 
  • Biersteuer: 112 Millionen Franken
  • Anteil aus Mikro- und Nanobrauerei: circa drei Prozent
  • Anzahl Braustätten: circa 1 000; als Braustätte gilt,
  • wer mehr als 400 Liter Bier pro Jahr herstellt

Craft Beer Shops

  • Coop führt in den grossen Filialen eine grosse Auswahl an einheimischen wie ausländischen Craft Beers.
  • In den Bahnhöfen Basel, Bern, Genf, Luzern, Oerlikon, St. Gallen, Winterthur und Zürich bietet Drinks of the World eine Riesenauswahl.
  • Permanent aktualisierte Liste sämtlicher Schweizer
  • Braustätten: www.bov.ch/beer/index-Y.html 

www.biervielfalt.ch

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