Wie sich Christian Fassnacht im Spiel gegen den FC Basel in die Höhe schraubt und mit dem Kopf das Tor zum 1:0 erzielt, ist bezeichnend für den Karriereverlauf des YB-Stürmers. Mit Kraft, Köpfchen und guter Laune hat sich der 25-Jährige auf leisen Stollen vom Sportplatz Brand in die Nationalmannschaft gedribbelt. Wir trafen den Thalwiler anlässlich dieser Ausgabe mit Schwerpunkt linkes Zürichseeufer in Bern zum Gespräch über Fussball, Fans, Führung und Fashion.
Als Kind deutete sein Talent auf eine Handwerkerlaufbahn hin. Heute hämmert Fassnacht Bälle in die Maschen gegnerischer Tore. Lange deutete nichts auf einen Exploit hin. Er spielte in Thalwil und der Traum Super League war weit weg. Heute fragt er sich, woher er damals Glaube und Zuversicht nahm, dass es irgendwie weitergehen würde. Als 1.-Liga-Spieler trifft Fassnacht in Zürich auf Federer und stellt sich zum Selfie neben sein Idol. Wir stehen im Rosengarten Bern, ein Mädchen kommt herbeigeeilt und fragt: Sind Sie der YB-Spieler Christian Fassnacht? Fassnacht ist heute selber ein Idol.
«Geschäftsführer»: Was haben Sie von Ihren Eltern mit auf den Weg für’s Leben bekommen?
Christian Fassnacht: Bodenständigkeit und dass die Erfolge nicht in den Kopf steigen dürfen, weil es die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Ich bin stolz, aber nicht abgehoben. Es gibt Menschen, die viel mehr erreicht haben als ich.
Es scheint, als wären Sie in Bern angekommen.
Jetzt muss ich schwärmen. Das Stadion ist voll und ich spüre grosse Dankbarkeit, und das ist unglaublich schön. Es war eine lange Leidenszeit für YB, und der Meistertitel hat die Menschen verzaubert. Die Fans sagen nicht, wie gut wir sind, sie bedanken sich für die Freuden, die wir ihnen schenken. Das habe ich noch nie erlebt.
Sie können sich rasch an neue Umfelder und höhere Ansprüche anpassen. Woher diese Gabe?
Das habe ich mir quasi aus der Not aneignen müssen. Denn kaum war ich in einem Team angekommen, ging es bereits weiter ins nächste Team. Ich habe dabei gelernt, mich zu Beginn zurückzuhalten, dabei zu beobachten, wie das Team funktioniert und wer die Leader sind. Es gibt Spieler, die sich gleich in Szene setzen und dadurch eher schlecht aufgenommen werden.
Integrationsfähigkeit ist eine Stärke. Woran müssen Sie noch arbeiten?
Meine Zurückhaltung ist auch eine Schwäche. Sie hat Auswirkungen auf dem Platz. Statt ein Dribbling zu riskieren, spiele ich noch zu oft den einfachen Pass. Hier beneide ich andere Spieler, die unbekümmert drauflos spielen und damit erfolgreich sind. Und ich denke etwas viel darüber nach, was die anderen von mir halten.
Sie strahlen immer. Was macht schlechte Laune?
In Thun nannten sie mich Sonnenschein. Bei mir braucht es in der Tat viel für schlechte Laune und falls doch, liegt es meistens an mir selber, weil ich etwas nicht gut gemacht oder vergessen habe. Von aussen lasse ich mir die gute Laune kaum verderben und ich lasse mich auch nicht stressen. Warte ich in einem Restaurant lange aufs Essen, stört mich das in der Regel überhaupt nicht.
Welches ist Ihre Rolle im Team?
Dank meiner guten Laune trage ich sicher zur guten Stimmung bei und ich helfe den jüngeren Spielern bei der Integration ins Team. Aus Erfahrung weiss ich, dass man den erfahrenen Spielern Respekt entgegenbringen muss. Benötigt ein älterer Spieler den Physio, stehst du als jüngerer Spieler hinten an. Deine Zeit wird kommen.
Wie erleben Sie Leadership beim BSC Young Boys?
Ich habe grosses Glück. Unser Coach Gerardo Seoane hat klare Vorstellungen, die er sehr gut vermittelt und die wir erfolgreich umsetzen. Christoph Spycher ist ein super Sportchef und toller Mensch, der nahe beim Team ist, der aber wenn nötig auch durchgreifen kann. Was er aus dem Verein herausholt, ist unglaublich. Er hat die Mannschaft zusammengestellt und zusammengehalten. Ich hätte mir im Sommer einen Wechsel ins Ausland gut vorstellen können, aber jetzt bin ich froh, hier zu sein. Wir spielen Champions League und das Team ist stark wie nie. Das kommt uns Spielern zugute. Der Sieg gegen Basel hat sogar in Deutschland Wellen geschlagen.
Was zeichnet Steve von Bergen in seiner Rolle als Spielführer aus?
Es gibt viele, bei denen man von aussen her das Gefühl hat, sie wären Leader, dieses Standing innerhalb der Mannschaft aber gar nicht haben. Steve ist ein grossartiger Leader. Er steht hin für die Mannschaft, wenn etwas nicht stimmt. Er ist aber auch der Erste, der einen Witz macht. Gilt es dann aber Ernst, ist er voll da. Ich weiss nicht, wo wir ohne unseren Captain wären. Er hat begriffen, wie das Leben funktioniert. Ein richtig guter Typ.
Welches sind Ihre nächsten Karriereziele?
Definitiv ein Aufgebot für die Nationalmannschaft. Eben habe ich erfahren, dass ich erstmals im Nati-Aufgebot stehe. Ein Bubentraum geht in Erfüllung. Dann ist ein Wechsel ins Ausland ein Ziel. Deutschland wäre reizvoll, aber auch ein Wechsel nach England oder Spanien. Eine neue Sprache und Lebensart kennenlernen wäre toll.
Welche Rolle spielt Ihre Partnerin?
Sie ist sehr wichtig für mich. Als Fussballer hat man viel Freizeit, und die Versuchung, ständig unterwegs zu sein, ist mit einer Partnerin an der Seite nicht so gross. Sie gibt mir viel Halt, und wir reden auch über andere Dinge als Fussball. Ich bin sehr glücklich, sie an meiner Seite zu haben.
Welche Interessen verfolgen Sie ausserhalb des Fussballs?
Ich interessiere mich sehr fürs Tennis. Mehr noch als für Fussball. Dann sind mir Freundschaften sehr wichtig. Ich bin selten alleine und gehe häufig mit Freunden essen.
Sie haben ein Flair für Mode und eine Geschäftsidee. Was können Sie uns über Ihre Pläne als KMU-Gründer verraten?
Zusammen mit einem Kollegen werde ich ein eigenes Fashionlabel herausbringen. Der Verkauf erfolgt online. Später soll ein Verkaufslokal dazukommen, in dem den Kunden ein neuartiges Kauferlebnis geboten wird. Wir müssen mit der Entwicklung Gas geben, weil auch andere mit vergleichbaren Konzepten am Start stehen. Was ich sagen kann ist, dass unser Label keinen Bezug zum Fussball haben wird. Klar werde ich mein Netzwerk nutzen können. Es wird ein Spagat.
Wenn Ihr Leben verfilmt würde: Welcher Schauspieler würde ihren Part am besten spielen?
Channing Tatum! Viele sagen, ich sehe ihm ähnlich.
Welches ist Ihre Lieblings-Fussballfloskel?
Wer die Tore vorne nicht macht, kriegt sie hinten rein. Manchmal nervt der Spruch, aber es ist natürlich viel Wahres dran.
Was fehlt Ihnen in Bern an Zürich und umgekehrt?
Hätte Bern einen See, wäre es fast schon wie in Zürich hier. Der Zürichsee weckt starke Heimatgefühle in mir. Zürich hat unter der Woche mehr Ausgangsmöglichkeiten. Dafür ist es hier in Bern etwas gemütlicher. In Zürich sind die Menschen gestresster, jeder hat das Gefühl, er müsse immer was unternehmen. Hier in Bern sind die Menschen ruhiger, freundlicher und sehr zuvorkommend. Davon könnte sich Zürich eine Scheibe abschneiden.
Mit welchen Worten würden Sie Ihren Geburtsort Thalwil bewerben?
Eine sportbegeisterte Gemeinde, die super Möglichkeiten für Fussball, Tennis, Golf und seit einiger Zeit sogar für Hockey bietet. Thalwil ist sehr vielfältig, bietet für jedes Bedürfnis etwas und wirkt jung und dynamisch.