Mit grosser Spannung hatte im Oktober 2019 eine ganze Branche darauf gewartet: Wie variiert die Prämie für die obligatorische Krankenpflegeversicherung für das Jahr 2020? Die Angst sass vielen im Nacken, denn man befürchtete im Rahmen der steigenden Gesundheitskosten eine spürbare Steigerung der Prämien. In böser Erinnerung ist vor allem das Jahr 2008, als sie um über 8 Prozent nach oben korrigiert werden mussten. Das grosse Aufatmen war bei allen spürbar, als bekannt wurde, dass diese im Schweizer Durchschnitt nur um 0,2 Prozent erhöht wird. Wir befragten den Branchenexperten Roger Weilenmann.
Die mittlere Prämie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung steigt im nächsten Jahr um 0,2 Prozent. Sie beträgt 315,40 Franken, wie Gesundheitsminister Alain Berset und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mitteilten. Es wurde zwar erwartet, dass die Prämien weniger stark steigen werden als während der vergangenen Jahre. Aber die Angst vor einer signifikanten Erhöhung war nicht unbegründet. Denn seit Inkrafttreten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung 1996 ist die mittlere Prämie jährlich um durchschnittlich 3,8 Prozent gestiegen. Das Konstrukt der mittleren Prämie berücksichtigt alle in der Schweiz bezahlten Prämien und entspricht der durchschnittlichen Prämienbelastung pro Person.
Kostendämpfende Massnahmen des Bundesrats, etwa die Anpassung des Ärztetarifs Tarmed, haben Wirkung gezeigt. Die Kosten im Gesundheitswesen nehmen unter anderem wegen der demografischen Entwicklung und des medizinischen-technischen Fortschritts laufend zu. 2018 hat die obligatorische Krankenversicherung Leistungen von total 32,6 Milliarden Franken bezahlt. Steigend sind deshalb auch die Prämien, welche die Kosten decken müssen.
Aber erstmal zu den Fakten: Die mittlere Prämie für Erwachsene beläuft sich auf 374,40 Franken. Sie steigt gegenüber dem Jahr 2019 um 0,3 Prozent. Die Prämie für Kinder beträgt 98,70 Franken – und bleibt damit gleich hoch wie 2019. Junge Erwachsene zwischen 19 und 25 Jahren zahlen 2020 monatlich 265,30 Franken. Dies entspricht einer Reduktion von zwei Prozent gegenüber dem letzten Jahr. Es seien jedoch weitere Massnahmen erforderlich, damit die Kosten nur in dem Umfang steigen, welcher medizinisch begründbar sei, teilt das BAG weiter mit. Ohne zusätzliche Massnahmen werden die Kosten und dadurch auch die Prämien in Zukunft wieder stärker steigen.
Am stärksten entlastet werden also junge Erwachsene. Und wie immer gibt es zwischen den 26 Kantonen Unterschiede. Die mittleren Prämien werden in zehn Kantonen sogar sinken. Dazu gehören Aargau, Bern, Baselstadt, Luzern, Schaffhausen, Solothurn, Waadt, Zug und Zürich – in Luzern sinken die Prämien dabei am meisten. In fünf Kantonen steigen sie um über 1,5 Prozent, in den restlichen elf Kantonen liegt der Anstieg zwischen 0 und 1,5 Prozent. Die kantonalen Unterschiede sind laut Bundesrat auf verschiedene Ursachen zurückzuführen, so etwa die Ärzte- und Spitaldichte oder die Bevölkerungsstruktur. Und was sagen die Branchenkenner? Wir haben den Geschäftsführer der Basler Versicherungsbroker-Firma Haysen gefragt:
«Geschäftsführer»: Roger Weilenmann, wie schätzen Sie die Festlegungen der KK-Prämien aktuell ein? Welche Reaktion ist von der Bevölkerung zu erwarten?
Roger Weilenmann: Auf den ersten Blick ist es erfreulich, dass im Durchschnitt die Prämien nur leicht steigen oder gar sinken. Allerdings handelt es sich um Durchschnittsprämien. Je nach Krankenkasse oder Wohnort, variieren Prämien stärker. Ich persönlich wohne mit meiner Familie in Basel-Stadt. Man konnte lesen, dass die Prämien in unserem Kanton sinken. Bei meiner Kasse steigen sie jedoch auch dieses Jahr wiederum um etwa 4 Prozent. Generell bin ich eher skeptisch und denke, dass wir noch weit davon entfernt sind, dass Prämien nachhaltig nicht steigen. Viele Familien werden wohl erleichtert sein, dass es dieses Jahr nicht schon wieder zu einer schmerzlichen Erhöhung kommt, aber eben, wie schon erwähnt, denke ich, dass dies nicht von Dauer sein wird.
Wie beurteilen Sie die Prämien in den Beiden Basel im Vergleich zu anderen Kantonen?
Wir haben in der NWCH generell hohe Prämien. Basel-Stadt ist mit Genf zusammen Spitzenreiter, was die Prämie betrifft. Allerdings haben wir in unserer Region auch Zugang zu hervorragenden medizinischen Dienstleistungen und auch zur Spitzenmedizin, das darf man nicht vergessen. Trotzdem hat das Prämienniveau aus meiner Sicht die Schmerzgrenze überschritten.
Sie sind auch spezialisiert auf Grenzgänger-Lösungen. Wie verhält es sich mit dieser nicht unsignifikant vertretenen Gruppe Versicherter in der Schweiz bezüglich der Krankenkassen Prämien 2020?
Grenzgänger haben ab Arbeitsaufnahme in der Schweiz – also ab Ausstellung einer Grenzgänger Bewilligung – drei Monate Zeit, sich von der Versicherungspflicht nach KVG zu befreien. Sie sind grundsätzlich in der Schweiz versichert, können sich aber auch im Wohnland versichern. Jeder Fall muss individuell geprüft werden, dabei muss man Prämien und Leistungen vergleichen. Bei Grenzgängern ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren die Prämien sinken. Die günstigsten Tarife betragen bei Grenzgängern aus Frankreich und Deutschland um die 230 Franken pro Monat mit einer Franchise von 300 Franken ohne Unfalldeckung. Ist man in Basel-Stadt wohnhaft, dann beträgt die günstigste Prämie 2020 rund 450 Franken monatlich ohne Unfall und einer Franchise von 300 Franken, also fast das Doppelte! Es lohnt sich auch für Grenzgänger, Offerten zu vergleichen und allenfalls die Kasse zu wechseln. Viele wissen nicht, dass sie das ebenfalls zweimal pro Jahr tun können.